12.09.2023

Jüdische Bibel zurück in der Gemeinde

Gießen

Nachfahren von Otto Etzel übergeben prächtigen Altarband an den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Gießen, Dow Aviv. Das Schicksal der einstigen Eigentümer soll aufgeklärt werden.

Eigentlich wollten die Nachfahren von Otto Etzel einfach die Bibel zurückgeben, die ihr Großvater einst von fliehenden Juden zur Aufbewahrung erhalten hatte. Die Menschen kehrten nicht zurück - aber die Bibel kam jetzt in den Besitz der Gießener jüdischen Gemeinde. In einer kleinen Versammlung besprach man die dramatischen Umstände, die damals herrschten.

Otto Etzel, geboren am 24. März 1880, bewohnte ein Haus ganz nahe an der Bahnlinie in Kleinlinden, damals noch ein eigenständiger Ort zwischen Gießen und Großen-Linden. Im Krieg in den 1940er Jahren mussten Gefangenentransporte in der Nähe warten, und Etzel, der den 7-Tages-Adventisten angehörte, brachte den Gefangenen von seiner Gärtnerei zu ihren Waggons Wasser und Essen.

Er tat es oft und ohne darüber nachzudenken; er war auch sonst als hilfsbereiter Mann bekannt. Später brachten einige Juden vor ihrer Deportation einige religiöse Gegenstände zur Aufbewahrung bei seiner Tochter Elisabeth Braun vorbei - »bis wir wieder zurück sind« - darunter eine prachtvoll ausgestattete jüdische Bibel.

Etzel wurde denunziert und 1941 von der Gestapo verhaftet und zehn Tage in Gießen festgehalten. Die Transporte gingen weiter, und Otto Etzel half den Gefangenen weiter, bis er 1942 erneut verhaftet und ins KZ Dachau überstellt wurde. Ende März 1943 kam er wieder nach Hause. »Er pflegte Umgang mit Juden und polnischen Gefangenen. Er hat nicht Heil Hitler gegrüßt und gab an, er würde nie seine Gesinnung ändern,« notierte seine Tochter Elisabeth nach dem Krieg in einer Notiz die Gründe für Etzels Verhaftung.

Dow Aviv, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Gießen, freute sich über die Übergabe des Fundstücks - eine prachtvoll ausgestattete jüdische Bibel im Altarformat in gutem Zustand - an die Gemeinde.

»Otto Etzel war ein guter Mensch, der gegen allerlei Anfeindungen seinen Kurs weiterverfolgte,« sagte er. »Es ist für uns ein sehr wichtiger Fund. Wir werden versuchen, noch mehr Menschen zu finden, die im Zusammenhang mit dem Schicksal der ursprünglichen Eigentümer der Bibel stehen oder standen, um die historischen Umstände besser kennenzulernen. Mehr Wissen trägt dazu bei, dass es weniger Vorurteile gibt«, schloss Aviv.

Die Übergabe fand im Januar in der Synagoge statt. In einer kleinen Versammlung mehrerer Nachfahren der Familie Etzel im evangelischen Gemeindezentrum Kleinlinden am vergangenen Sonntag wurde sie auch diesen beteiligten Personen erstmals gezeigt. Das Zusammentreffen verlief teilweise sehr emotional.

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